Erinnerungen der Grossmutter hinter der Planckmauer
Zu Beginn:
hatte ich nur zwei Zehen.
Man sagte mir, dass die anderen später kämen.
Jedes Jahr erntete mein Grossvater auf dem Schuhbaum eine neue Zehe mit der Gartenschere.
Er schnitt eine Rosenknospe ab, die er mir dann viele Stunden lang sorgfältig annähte.
Wie ich gestehen muss, war ich über seine Fürsorge glücklicher als über mein Wachstum.
Als meine Füsse endlich fast vollständig waren,
konnte ich anfangen, mich zu bewegen,
und als ich mich im Spiegel sah,
entdeckte ich eine hübsche, hoffnungsfrohe Grossmutter.
Ich war sehr stolz und schön wie die Luftballontrauben, die man auf Jahrmärkten anbietet und die Flusspferde in den Himmel schweben lassen.
Einmal hatten wir aus den Hosenträgern meines Grossvaters Schleudern gebastelt.
Natürlich vergnügten wir uns damit, die im All hängenden Planeten zu treffen.
Das gab ein grosses allgemeines Gefunkel und Farben, die wir noch nie gesehen hatten.
Das war natürlich Unfug und streng verboten, denn man hatte uns gesagt: «Lasst das Gleichgewicht in Ruhe!»
Meinen Freundinnen und mir war das Gleichgewicht völlig egal,
zumal man uns ja noch nicht alle Zehen angenäht hatte,
und weil wir so den ganzen Tag angesichts der Ewigkeit auf den Klippen stillsitzen mussten.
Wir hatten aber eine Himmelskarte,
und da nahmen wir vor allem Zonen ins Visier, wo geschrieben stand, man dürfe sie nicht treffen…
Und bumm, eines Tages hatten wir getroffen.
Das löste ein Beben aus, als würden mehrere Sonnen explodieren.
Wir haben uns ganz blöd gefühlt, blöder geht’s nicht mehr.
Doch am nächsten Tag bekamen wir es richtig aufs Dach.
Und am Abend kam mein Grossvater.
Und sagte ganz ruhig: «Meine Kleine, Ihr habt zwar den Stein nicht völlig zertrümmert, doch Ihr habt die Dinosaurier getötet.»
Schliesslich hatten wir mit unseren Dummheiten Mann und Frau geschaffen.
Ein Riesenfest wurde vorbereitet, und als ich den Kopf zum Tisch wandte, sah ich sie:
die Gabel!
Das Ding war riesig und vom Himmel wie ein Speer heruntergefallen.
Kam hinzu, dass sich die Gabelspitzen direkt in ein Schwein gebohrt hatten.
Noch nie hatten wir so ein Geschoss gesehen.
Zahllose Feuerwehrleute katapultierten Eisberge ins All, und all das liess uns vor Vergnügen ins Träumen geraten.
Doch wir hatten einen Gast.
Einen Gast von der anderen Seite der Planckmauer.
Er hiess Rabelais, François mit Vornamen.
Er stellte sich sofort an den Herd und lehrte uns Grossmutterrezepte.
Er goss Tonnen kochenden Wassers auf die Bäume, so dass die Wurzeln aus dem Boden wuchsen und wie Schlangen davonhuschen wollten, bevor er sie für die Suppe fing.
So viele imaginäre Rezepte gelangten damals in unsere Junggrossmutter-Erinnerungen.
Endlich verschwand er wieder in der Mauer.
Doch jetzt auf ins Bett!
Morgen ziehe ich mich ganz allein
mit meiner Kleinen Riesin zurück.
Kommt zahlreich, um uns bei diesem grossen Aufbruch zu begleiten…
© Jean-Luc Courcoult, Autor und Regisseur,
Gründer der Compagnie Royal de Luxe